Nichts sehen heißt anders erleben!

Ein Vier-Gänge-Menü stellt ja normalerweise keine Schwierigkeit für mich dar. Dieses Menü jedoch bei völliger Dunkelheit einzunehmen, macht daraus  schon eine spannende Herausforderung. Es verschafft außerdem einen klitzekleinen Eindruck vom Alltag blinder Menschen – das Wort „Einblick“ wäre hier wohl wirklich fehl am Platz.  Eine solch ungewöhnliche Erfahrung hatten wir am Donnerstag abend, als wir  mit Bekannten einem „NoLightDinner“ im Nürnberger Restaurant Estragon beiwohnten.

Nach einer Einführung, in der zuerst einige Einrichtungen für Blinde und Sehbehinderte in Nürnberg vorgestellt, und dann der grobe Ablauf des Abends erklärt wurden, führten uns mit Nachtsichtgerät ausgerüstete Kellner durch eine Lichtschleuse in einen völlig abgedunkelten Raum. Wir saßen mit uns bekannten, aber auch fremden Menschen an einem Tisch und es ergaben sich sofort interessante Gespräche. Schon als die bestellten Getränke gereicht wurden, trafen wir auf die ersten Herausforderungen: wie schenkt man ein Bier in völliger Dunkenheit in ein Glas? Es hätte natürlich auch keinen gestört, das Bier aus der Flasche zu trinken, doch die Aufgabe nahm ich begeistert an und hinterließ auch keine Pfütze auf der Tischdecke. Die Finger wurden allerdings schon ein wenig nass. Das Essen selbst war köstlich, nach einem arabisch gewürzten Salat mit abwechslungsreichen Texturen (Rotkohl, Kichererbse, Trockenobst) und einer Suppe (Süßkartoffeln) servierte man – wie später bestätigt wurde – Hähnchen-Involtini mit Polenta und Paprikagemüse. Man isst wirklich anders, wenn man nicht erkennen kann, was einen erwartet. Ich hatte nicht den Eindruck, dass der Geschmack intensiver ist als bei Licht, aber dennoch geht man deutlich analytischer ans Werk. Das ganze lief ohne Verletzungen und auch nur ganz selten mit einer leer zum Mund geführten Gabel ab.

Die einzigen kleinen „Lichtquellen“ waren übrigens die rot leuchtenden Restlichtgeber der beiden Kellner. Mobiltelefone, leuchtende Armbanduhren und ähnliches sollten wir nicht mit in den Raum nehmen. Und alleine schon der Smartphone-Verzicht für drei bis vier Stunden kann heutzutage ja schon eine gehörige Einschränkung darstellen.

In den Pausen zwischen den Gängen sorgte eine Sängerin für kurzweilige Unterhaltung, sie moderierte allerdings auch eine Fragerunde mit den zwei blinden Service-Damen, die uns neben den beiden Herren mit Nachtsichtgerät an diesem Abend bedienten. Vor dem Dessert trug die Entertainerin dann ein kleines Teelicht herein, das uns in diesem Moment nach drei Stunden in der Dunkelheit wirklich sehr hell vorkam.  Ich hätte es – wissend, dass es irgendwann wieder aufhört – wohl auch noch eine Weile länger im Dunkeln ausgehalten. Als wir uns zu diesem NoLightDinner verabredeten, hatte ich etwas die Befürchtung, die absolute Dunkelheit könnte nach einiger Zeit beklemmend wirken. Dank der gelösten Stimmung und recht angeregter Unterhaltungen mit den Tischnachbarn stellte solch ein Gefühl allerdings zu keiner Zeit ein, eher noch eine gewisse Müdigkeit.

Insgesamt war dieser außergewöhnliche Restaurant-Besuch eine sehr anregende Veranstaltung, über den ich in den folgenden Tagen noch oft nachgedacht habe. Ich würde es sicher wieder einmal machen und kann es Euch ebenfalls nur empfehlen. Die Termine im Estragon sind für dieses Frühjahr allerdings schon ausgebucht, erst im Herbst gibt es dort wieder die Möglichkeit an einen NoLightDinner teilzunehmen.

 

 

 

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